Eine Reise nach Hause In Erinnerung an
meine Eltern Der Verlust meiner Eltern entfachte in mir eine grosse Wissbegierde, mehr über das Land zu erfahren,
wo sie ihre Jugend und frühen Erwachsenenjahre verbracht hatten: das
slowenische Raabgebiet. Ich fragte mich, wie es wohl gewesen war, in den
kleinen Dörfern Szakonyfalu und Harasztifalu in den 1920er und 1930er Jahren
aufzuwachsen; in der Zeit vor der Emigration in die Vereinigten Staaten. Ein
paar alte Fotos und Briefe gaben mir hierzu ein paar wenige Hinweise und
standen am Anfang meiner Entdeckungsreise. Meine Eltern wurden beide in den Vereinigten Staaten
geboren. Die Eltern meiner Mutter waren slowenisch- (Bajzek/Grebenár) und die meines Vaters
kroatischstämmig (Czvitkovics/Szabó). Sie lebten für ein paar Jahre im
Gebiet um die Stadt Chicago. Sie waren noch im Kindesalter, als ihre Eltern
sie in den frühen 1920er Jahren nach Ungarn zurück brachten. Meine
Mutter wuchs in Szakonyfalu auf, mein Vater in Harasztifalu, in der Nähe der Stadt Körmend. Viele Jahre später, sie waren nun
bereits junge Erwachsene, emigrierten sie in die USA, wo sie sich zum ersten
Mal begegneten und später auch heirateten. Sie kehrten nie wieder nach
Ungarn zurück und sahen auch ihre Familien nie wieder. Ich fasste den Entschluss, eine Reise zu planen, welche
das Ziel hatte, die Dörfer meiner Eltern, Häuser (falls sie immer
noch existieren sollten), Friedhöfe, Kirchen, und falls möglich
auch Verwandte, welche heute immer noch in dieser Region leben, zu finden.
Jedoch wollte ich nicht wie eine Touristin das Gebiet nur schnell
durchfahren. Was ich brauchte, waren persönliche Kontakte. Ich begann
also damit, meine Familien zu erforschen. Die Ellis Island Protokolle
lieferten mir viele wichtige Informationen dazu. Die wertvollste Quelle
bildete jedoch die Vendvidék-Webseite
(www.vendvidek.com), welche von Tibor Horváth und Joël
Gerber erstellt worden war. Hier lernte ich die Geschichte, Kultur,
Traditionen und Sprache meines Volkes kennen. Ich zeichnete einen
Familienstammbaum, welcher allerdings zu Beginn mehr leere als volle
Äste aufzuweisen hatte, weil ich ja nur sehr wenige Verwandte kannte.
Dank der persönlichen Hilfeleistung Tibor Horváths und eines Vetters meiner Mutter, welcher
in Chicago lebt und welchen ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe, fing der
Baum binnen weniger Monate zu blühen an. Mit Hilfe alter
Kirchbücher, welche Tibor und Joël in sorgfältiger Arbeit durchgelesen
hatten, fanden wir heraus, dass meine Urgrosseltern mütterlicherseits
aus Felsõszölnök und Szakonyfalu stammten. Ausserdem
stellte sich heraus, dass mein Vater zwei Geschwister hatte und einer seiner
Neffen heute in Österreich, ausserhalb Wiens,
lebt. Die Aufregung nahm stetig zu. Ich würde nach „Hause“
zurückkehren um meine Familie, welche ich nie gekannt hatte, kennen zu
lernen. Die eigentliche Reise begann Mitte Mai. Ich wurde
begleitet von zwei amerikanischen Kusinen und einem amerikanischen Vetter und
meinem Ehegatten. Unsere erste Destination war Wien. Bevor wir jedoch
irgendwelche Sehenswürdigkeiten besichtigte, nahm ich den Zug in die
Stadt ausserhalb von Wien, um den Neffen meines
Vaters (mein einziger ungarischer Vetter ersten Grades) zu besuchen. Meine
anfängliche Besorgnis, er könnte mich als eine Fremde betrachten,
wich sehr schnell als ich wie ein Familienmitglied, welches nach langer
Abwesenheit zurückkehrt, empfangen wurde. An diesem wunderschönen
Tag teilten wir unsere Erinnerungen, Erfahrungen und Fotos, welche über
einen Zeitraum von vierzig Jahren entstanden waren, miteinander. Eine Woche
später würde ich das Dorf, wo er und mein Vater aufgewachsen waren,
besuchen gehen - Harasztifalu. Nachdem ich ein paar Tage in Wien verbracht hatte, war
die Zeit gekommen, den wichtigsten Teil der Reise in Angriff zu nehmen: Szakonyfalu, das Dorf meiner Mutter, zu besuchen. Der Tag
begann mit dem Besuch der Häuser dreier älterer Kusinen. Meine Grossmutter und ihre sechs Geschwister wurden im
„rosafarbenen Haus“ geboren und wuchsen dort auf. Heute lebt eine
Bajzek Kusine ersten Grades meiner Mutter in diesem
Haus. Gleich am unteren Ende der Strasse leben zwei Grebenár
Kusinen. Eine der beiden hatte mit meiner Grossmutter
zusammengelebt und sich um sie in ihren letzten Lebensjahren gekümmert.
Sie waren sichtlich erfreut, mir von der Grossmutter,
welche ich nie gekannt hatte, zu erzählen. Sie sprachen liebevoll und
ein Vetter übersetzte abwechselnd vom Slowenischen und Ungarischen ins
Englische. Es war Jahre her, seit ich diesen Dialekt des Slowenischen (Porabščina) sprechen gehört hatte. Sie
erkannten Familienmitglieder auf den Fotos, welche ich mitgebracht hatte.
Später zeigten sie mir Fotos, auf welchen ich selbst und andere
amerikanische Familienmitglieder als Kinder abgebildet waren. Diese Fotos hatte
ihnen meine Mutter aus den USA geschickt. Als nächstes besuchten wir das
Grebenár Haus, wo meine Mutter aufgewachsen
war, sowie den Friedhof und die Dorfkirche. Dies war der ergreifendste
Moment der Reise: Ich hatte nie die Gelegenheit, meine Grossmutter
und Onkel kennen zu lernen, und jetzt konnte ich ihre Grabsteine sehen und
berühren. Wir erkundeten den Friedhof und fanden Grabsteine vieler
anderer Familienmitglieder, welche bereits seit langem verstorben waren. Von
diesem Friedhof aus konnten wir die Dorfkirche sehen, wo sich ein Denkmal
für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten aus Szakonyfalu
befindet. Der Name meines jungen Onkels war auf einem Granitdenkmal
eingeritzt worden: Grebenár Ferenc. Am nächsten Tag reisten wir mit dem Auto und zu Fuss durch die Dörfer des slowenischen Raabgebietes
und überquerten die Grenze zu Österreich und Slowenien. Wir sahen
eine wunderschöne Landschaft und majestätische alte Kirchen,
historische Sehenswürdigkeiten, Gebiet des ehemaligen Eisernen Vorhangs
und nistende Störche und Strausse, welche sich
neben der Strasse aufhielten. Wir probierten Kürbiskernöl sowie
Honigschnaps aus der Region und genossen eine Vielzahl von
slowenischen/ungarischen Gerichten. Am Samstagmorgen wohnten wir den
Dorfbewohnern zusammen dem Szakonyfalu Festival
bei, wo wir traditionelle Folkloretänzer in ihren Dorfkostümen zu
sehen und slowenische Lieder zu hören bekamen. An jenem Abend
organisierten wir ein Abendessen für unsere neuen Freunde und Verwandten
im Székely Tanya,
einem traditionellen Dorfrestaurant (Farm), welche sich unmittelbar ausserhalb der Stadt Szentgotthárd
befindet. Wir genossen ein Spanferkel, eingelegtes Gemüse, Strudel und Palascinta. Die Gastgesellschaft war gross
und in guter Stimmung. Dieser Abend wird allen noch lange in Erinnerung
bleiben. An unserem letzten Tag fuhren wir nordwärts zum
Dorf meines Vaters, einem kleinen kroatischen Dorf gleich ausserhalb
Körmends. Nachdem wir den Friedhof und
Familiengräber besucht hatten, begegneten wir einem Ehepaar aus dem
Dorf. Sie gingen beide mit den Neffen meines Vaters zur Schule und kannten
die Familie Czvitkovics gut. Sie erzählten von
meiner Grossmutter und meiner Tante und konnten mir
schildern, wie die beiden so waren. Sie zeigten uns das Haus meines Vaters,
welches renoviert worden war und heute ein kleines Restaurant ist. Am
nächsten Tag verliessen wir die Dörfer
mit dem Zug um Budapest zu besichtigen. Die Abreise erfüllte mein Herz
mit Traurigkeit, jedoch verspürte ich in mir auch grosse
Freude darüber, meine Verwandten kennen gelernt, die Heimat meiner
Vorfahren gesehen und die Verbindung zu meinem slowenischen Erbe wieder
hergestellt zu haben. Jeanne Czvitkovics Brown Juni 2007 * Mein
besonderer Dank gebührt Tibor Horváth und Joël
Gerber, ohne deren Hilfe diese Reise niemals
möglich gewesen wäre. * Übersetzt aus
dem Englischen: Joël Gerber |