Mittelalter & Frühe Neuzeit



Das slowenische Raabgebiet war Bestandteil des ungarischen Herrschaftsgebiets und fiel erst Ende des 11. Jh. an die Komitate Zala und Vas (1091) bzw. an das Zagreber (1094) und Győrer (1176) Bistum. Für die im Komitat Vas ansässige und zum Győrer Bistum gehörende slowenische Bevölkerung führte die katholischen Kirche die Bezeichnung „Tótságein. Anfänglich gaben die Ungarn allen im Karpatenbecken lebenden Slawen den Namen „tót/tótok. Später wurden hingegen nur noch diejenigen, welche sich als „Slovensko bezeichneten „tót/tótok genannt. Dazu gehörten die Slowenen und die Slowaken. Bis Ende des 16. Jh. wurden auch die slawonischen Kroaten als „tót/tótok bezeichnet.

 

Die ersten dokumentierten Aufzeichnungen



Im Jahre 1183 wurde die Stadt Szentgotthárd zusammen mit der Gründung der dortigen Zisterzienserabtei urkundlich erstmals erwähnt. Der ungarische König Béla III. hatte die Abtei gegründet, um dieses bevölkerungsarme Gebiet bebauen und gleichzeitig Arbeitskräfte ansiedeln zu können. Die in der Region um Szentgotthárd noch heute existierenden slowenischen Siedlungen entstanden aus dem Grundbesitz der Zisterzienserabtei sowie der angesiedelten bzw. bereits dort wohnhaften Slowenen. Die ersten dokumentarischen Erwähnungen der slowenischen Ortschaften, welche zu den Leibeigenensiedlungen der Zisterzienserabtei sowie der Gutsherrenfamilien Széchy, Nádasdy und Battyányi zählten, fallen in den Zeitraum vom 13.-16. Jh.: Rábatótfalu als Sclavorum (1221), Szakonyfalu als Zakonfalua und Apátistvánfalva als Estevanfalva (1350). Ferner Felső- und Alsószölnök (1378), Ritkaháza und Permise (Kétvölgy) (1387) und Orfalu (1538).

 

Reformation und Gegenreformation



Im 16. und 17. Jh. erreichte die Lehre der Reformation auch die Gutsherren der Slowenen im Raabgebiet. Infolgedessen mussten auch deren Leibeigene zum Calvinismus bzw. zum evangelischen Glauben konvertieren. Im Jahre 1698 wurde festgehalten, dass von den 600 Bewohnern Felsőszölnöks 413 evangelisch und 187 katholisch waren, wobei die Katholiken nach Čepinci (Slowenien) in den Gottesdienst gingen und die Bewohner des Raabgebiets evangelischen Glaubens den Felsőszölnöker, Dolincer (Slowenien) und Szentgotthárder Kirchen angehörten. Das Pfarrhaus von Felsőszölnök besass Ackerland, Wiesen und Weinberge sowie fünf Leibeigene (ung. Zseller), welche in dessen Dienst standen. In der Ortschaft Felsőszölnök waren in jener Zeit das Gewerbe des Webers und des Töpfers sehr verbreitet. Die Namen der Gemeindemitglieder waren u. a. Horváth, Szukits, Metlitz, Gecsék, Czigut, Gubics und Hampó. Der damalige Priester von Felsőszölnök, Mihály Medvedovics, liess sich 1629 zum Katholizismus bekehren, wofür er vom Gutsherrn Ádam Battyányi 1630 den Grafentitel verliehen bekam. Im Jahre 1634 liess Ádam Battyányi verordnen, dass falls sich die protestantischen Geistlichen auf seinen Ländereien nicht zum Katholizismus bekehren liessen, diese seinen Besitz innerhalb von zwei Wochen verlassen müssten. Diese Rekatholisierung war ein zeitintensives Unterfangen, da u. a. die neue Religion den slowenischen Leibeigenen die Möglichkeit zur Aneignung ihrer Muttersprache in Wort und Schrift bot. Ungeachtet dessen kehrten Ende des 17. Jh. die meisten im Raabgebiet lebenden slowenischen Leibeigenen zusammen mit ihren Gutsherren Ádám Battyányi, Ferenc Nádasdy und Péter Széczy schliesslich zum katholischen Glauben zurück. Aufgrund der in der Parlamentsversammlung von Sopron (1681) beschlossenen Verordnung durften die evangelischen und calvinistischen Gläubigen nur an vorgeschriebenen Orten ihren Glauben ausüben. Ferner waren ihnen Bücher ausschliesslich für den religiösen Gebrauch gestattet. 1717 nahm die Familie Battyányi die Kirchen, welche nach katholischer Zeremonie eingeweiht worden waren, wieder in ihren Besitz.

 

Die osmanische Zeit



Die Osmanen erreichten das Raabgebiet zeitgleich mit der Reformation. Der Anführer der Osmanen, Ibrahim Damad, besetzte am 20. Oktober 1600 die am nächsten liegende Stadt Nagykanizsa, eine wichtige ungarische Festung. An Weihnachten 1640 fiel eine aus Nagykanizsa kommende osmanische Truppe in Felsőszölnök ein. Von jener Zeit an mussten die einheimischen Leibeigenen nicht nur dem Gutsbesitzer Ádám Battyányi, sondern auch den osmanischen Besatzern Tribut bezahlen. Die Osmanen liessen ferner verlauten, dass die Bewohner von Felsőszölnök sich ihnen innerhalb von zwei Wochen zu unterwerfen hatten, ansonsten würde ihr ganzes Dorf zerstört werden. Die Felsőszölnöker fragten daraufhin Ádám Battyányi in einem Brief um Rat. 1641 konsultierte dieser wiederum seinen in Szentgotthárd lebenden Schwager László Csáky, welcher von einer Unterwerfung abriet und dabei das Beispiel des Dorfes Apátistvánfalva erwähnte. Obgleich sich dessen Bewohner aus Furcht unterwerfen liessen, wurde das Dorf 1622 durch die Osmanen dem Erdboden gleichgemacht. Nach der Meinung László Csákys durfte sich folglich Felsőszölnök nicht unterwerfen, und falls doch, dann hätten sich die deutschstämmigen Bewohner vom Raabgebiet auch unterworfen und mit ihnen das gesamte Raabgebiet. Ádám Battyányi holte sich auch Rat von seinem Vetter zweiten Grades, dem Schriftsteller Miklós Zrínyi, welcher ihm 1648 riet, eine Schlacht gegen die Osmanen zu führen. Im Zuge der Schlacht von Szentgotthárd im Jahre 1664 drangen die Osmanen bis Felsőszölnök vor und zerstören dabei das Dorf fast vollständig. Viele verarmte Einwohner flüchteten daraufhin in die benachbarte Steiermark. An die Schlacht gegen die Osmanen in Szentgotthárd erinnern sich die Slowenen des Raabgebietes noch heute in der Form von Erzählungen, in welchen sich Fakten und historisch verklärte Vorfälle vermischen. Ausserdem sind die historischen Kenntnisse über diese Schlacht z. T. lückenhaft. Es ist beispielsweise eine Tatsache, dass der osmanische Sultan, welcher aufgrund dieser Erzählungen die erwähnte Schlacht angeführt haben soll, gar nicht daran teilgenommen hat. Zudem ist der Truppenführer der Osmanen, Ahmed Köprülü, nicht wie oftmals behauptet, in der Schlacht gefallen. Radetzky wiederum, welcher den Erzählungen nach die osmanischen Truppen bei dieser Schlacht ausgetrickst haben soll, wurde etwa hundert Jahre später geboren und war der Oberbefehlshaber der österreichischen Armee bei den napoleonischen Kriegen in Norditalien. Zutreffend ist hingegen, dass der Schwager des Sultans, Pascha Ismail, im Kampf bei Szentgotthárd getötet worden ist.

Den Erzählungen zufolge waren die ungarischen Truppen auf einem Hügel in Mogersdorf (Österreich) unweit von Szentgotthárd stationiert. Am Fusse dieses Hügels soll sich auch Radetzky befunden haben. Es wird gesagt, Radetzky habe sich den Plan ausgedacht, die ungarischen Truppen in zwei Teile aufzuspalten und habe auf diese Weise die Osmanen austricksen können. Auf dem Hügel hätten die Soldaten ein Feuer entfacht und seien dabei, um eine grössere Anzahl Soldaten vorzutäuschen, immer wieder um dieselbe Feuerstelle herummarschiert. Die Osmanen sollten in den Glauben versetzt werden, die ungarische Truppe würde sie vom Hügel her angreifen. Beim Angriff soll die dritte Kanonenkugel das Zelt des Sultans getroffen und diesen auch getötet haben. Der Sultan soll noch vor Ausbruch der Kriegshandlungen gesagt haben, dass er nicht aufgebe, solange der gebratene Hahn auf seinem Teller nicht zu krähen anfange. Just in jenem Augenblick soll der Hahn zu krähen angefangen haben, und der Sultan daraufhin von der Kanonenkugel tödlich getroffen worden sein. Unter den osmanischen Soldaten sei daraufhin Panik ausgebrochen, und sie hätten zu fliehen begonnen. Gemäss den Erzählungen soll es bei dieser Schlacht derart viele Tote gegeben haben, dass sich der Fluss Raab in der Folge getränkt von Blut rot verfärbt habe. Einen Abschnitt dieses Flusses nennt man heute noch „Holt-Rába/Toter Raab“. An eben diesem Flussabschnitt soll sich das Wasser zudem auf Grund der vielen im Fluss liegenden Gefallenen eine andere Richtung gebahnt haben. Vor der Schlacht soll der Sultan ausserdem noch gemeint haben, dass bald sein Pferd aus dem Schosse und der Büste der Heiligen Maria (im heutigen Mariazell, Österreich) essen und trinken werde. Der Wallfahrtsort Mariazell ist heute noch Ziel zahlreicher Bewohner von Felsőszölnök. Zwischen Felsőszölnök und Alsószölnök befindet sich auf einer Anhöhe ein Brunnen, in welche die Frau des Sultans auf der Flucht eine Goldwiege hineingeworfen haben soll. Noch heute wird in Szentgotthárd alljährlich am 1. August der Schlacht gegen die Osmanen gedacht, und ein Lauf von Szentgottárd auf den Hügel bei Mogersdorf, auf dem sich ein grosses Kreuz befindet, veranstaltet. In dieser Zeit richteten zudem die Kuruzen-Truppen von Rákóczi (antihabsburgische Aufständische) und die Labanzen-Truppen (Habsburgtreue) im slowenischen Raabgebiet grosse Schäden an. Rákóczis Kuruzen-Truppen besiegten bei Szentgotthárd die österreichisch-kaiserliche Armee.

 

Die Flucht in das Komitat Somogy



Im 17. und 18. Jh. siedelten sich zahlreiche slowenische Familien aus dem Komitat Vas im Komitat Somogy an. Laut einigen Forschungen sind drei Landkreise (Csurgó, Nagyatád, Marcali) bekannt, in welchen sechzehn slowenische Siedlungen entstanden sind. Die Slowenen kamen in zwei Wellen in das Komitat Somogy: in einer ersten als Folge der osmanischen Angriffe um 1600 und in einer zweiten im 18. Jh. aufgrund ihrer protestantischen Konfession. Die in das Komitat Somogy zugewanderten Slowenen assimilierten sich zum grössten Teil im dortigen ungarischen Umfeld. Heute gibt es nur wenige Anhaltspunkte, welche an die Slowenen im Komitat Somogy erinnern, so z. B. die Zubereitung der Speisen und die Trachten. Das wichtigste gemeinsame Motiv bildet noch heute der Hochzeitsbrauch in der Ortschaft Tarany. Sowohl die Slowenen im Raab- als auch im Murgebiet kennen den „Gastrufer“ an Hochzeiten. Wie in Tarany trägt der Gastrufer auch im Raabgebiet ein mit Maschen geschmücktes Gewand. Zudem führt er einen Stock mit sich, welcher am unteren Ende mit einem Igelfell umwickelt ist. Auch die Gebräuche am Sterbebett, die Totenaufbahrung und die Beerdigung ähneln sich. Ferner führen die Nachkommen der Slowenen im Komitat Somogy auch den typisch ungarischen Ostermontagsbrauch, bei welchem die Männer und Knaben die Frauen und Mädchen mit Kölnischwasser begiessen, nicht durch. Während die Slowenen im Raabgebiet noch ihre eigene Sprache und Kultur pflegen, wissen die Bewohner von Tarany immer weniger über ihre Vorfahren Bescheid. In der Volkszählung von 2001 bekannten sich nur noch 44 Personen im ganzen Komitat Somogy zum Slowenentum.




Übersetzung aus dem Ungarischen und Zusammenfassung: Tibor Horváth

in Anlehnung an: Mukics Mária, „A Magyarországi Szlovének, Press Publica, 2003