Das Baumstammziehen
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts heirateten die Slowenen Ungarns meistens während der Faschingszeit. Falls in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Aschermittwoch in einem Dorf niemand heiratet, müssen die heiratsfähigen Jugendlichen des Dorfes am Faschingssonntag als „Strafe“ das so genannte „Baumstammziehen“ organisieren. Das Ziehen eines im Wald gefällten Tannenbaumstammes symbolisiert eine Scherzhochzeit. Die Teilnehmer der Veranstaltung ziehen als Brautführer, Hochzeitsgäste und Blumenkinder verkleidet schelmisch den Baumstamm, auf dem eine als Braut verkleidete junge Frau und ein als Bräutigam verkleideter Bursche sitzen, durch das Dorf. Nach Beendigung der „Hochzeit“ wird der Baumstamm versteigert. Der Erlös wird für Vergnügungsanlässe (Bälle) und für die Deckung der Unkosten verwendet. Der Baumstamm ist primär ein Fruchtbarkeitssymbols Diesen Brauch übernahmen sowohl die Slowenen als auch die Ungarn des Komitates Vas von deutschsprachigen Österreichern. Die Tradition des Baumstammziehens geht auf das Jahr 1904 zurück. Damals führten erstmals die Slowenen von Andovci / Orfalu diesen Brauch durch. Später, im Jahre 1909 folgte Slovenska Ves / Rábatótfalu.
Fotos: Wochenzeitung
„Porabje“
Dieser Brauch wird „die Tannenhochzeit“ (baurovo, gostüvanje) oder „Baumstammziehen“ (plojek vlejčti, baur vlejčti, baur vlečenje, plojek vlečenje) genannt.
Diese Scherzhochzeit wurde früher meistens am Faschingsdienstag, oder aber auch bereits am Montag zuvor veranstaltet. Aber seit 1968 wird dieser Brauch immer am Faschingssonntag gepflegt. Das ganze Dorf beteiligt sich an dieser Hochzeitsparodie. Sogar die Nachkommen der Dorfbewohner, Verwandte aus den Städten und neuerdings auch im Ausland lebende Raabgebiet-Slowenen reisen zu diesem Ereignis in ihre Heimat an.
Die maskierten Figuren, die bei diesem Brauch auftreten, kann man in zwei grosse Gruppen aufteilen: Die erste Gruppe spielt die zentrale Rolle des Ereignisses (die „Braut“ und der „Bräutigam“ sowie der „Trauzeuge“, die „Teufel“, etc...). In der zweiten Gruppe findet man die Nebendarsteller, welche den Umzug farblich untermalen (der „Barbier“, die „Hochzeitsgäste“, der „Zigeuner“, etc...).
Das Drehbuch des im Jahre 1999 in Števanovci und Andovci veranstalteten Baumstammziehens sah folgendermassen aus:*
1) Die Versammlung
2) Der Aufbruch um den Bräutigam abzuholen, das Erbitten der Braut und das Abschied nehmen von der Familie der Braut
3) Der Aufbruch der Hochzeitsgäste in den Wald
4) Das zeremonielle Fällen des Baumes
5) Die Rückkehr der Hochzeitsgäste mit dem „Baumstamm der Schande“ (unterwegs viel Gaukelei und Spass)
6) Die erste Bekanntgabe (Text lauthals schreien)
7) Der Teufel steigt auf das Kamin, welchen der Kaminfeger reinigen muss
8) Die zweite Bekanntgabe (Text lauthals schreien)
9) Der Teufel raubt die Braut (der Bräutigam muss diese suchen und finden)
10) Die dritte Bekanntgabe am Schauplatz der Vermählung
11) Die Vermählungszeremonie
12) Die Versteigerung des Baumstammes
13) Das Hochzeitsmahl
14) Die Hochzeitsfeier
15) Der Tanz mit der Braut
16) Tanz bis in den Morgengrauen
*Regie:
Károly Krajczár
Seit 1968 (vermutlich
aber auch schon seit längerer Zeit) wird dieses Ereignis in den
slowenischen Dörfern Ungarns zweisprachig abgehalten. In Slovenska Ves /
Rábatótfalu und in Sakalovci / Szakonyfalu wird der Text des
Rituals zuerst in slowenischer und dann in ungarischer Sprache gesprochen. In
Števanovci / Apátistvánfalva hingegen gibt es auch Texte,
welche nur in Slowenisch oder nur in Ungarisch verfasst sind. Da die meisten
Besucher beide Sprachen beherrschen, wird dies im Allgemeinen nicht als
störend empfunden. Die Dorfchöre spielen meistens slowenische Polkas,
Walzer und Märsche. Ferner ist auch die Musik zum Brauttanz slowenisch.
Oft hört man während des Festes auch ungarische Volkslieder, welche
ohne Musikbegleitung gesungen werden.
Fotos: Wochenzeitung
„Porabje“
Dank der
historischen Wende im Jahre 1990 (die Aufhebung der Grenzzone, die
Eröffnung neuer Grenzübergänge) kann dieses festliche Ereignis
heute in neuem Glanz erscheinen. Denn auch Grenzübergänge, welche
sonst geschlossen sind, werden an diesem Tag vorübergehend geöffnet
(z.B. bei Andovci / Orfalu). Mit Bussen und Autos kommen somit auch zahlreiche
Besucher aus den benachbarten Dörfern des Murgebietes in Slowenien, welche
den gleichen slowenischen Dialekt wie die Slowenen im Raabgebiet sprechen und
auch zur gleichen Kulturgruppe gehören, in die Dörfer des
Raabgebiets.
Übersetzung aus dem
Ungarischen und Zusammenfassung: Tibor Horvat
Quelle: Mukics Mária,
„A Magyarországi Szlovének“;
Press Publica, (2003)